Was wird aus Deutschland und Europa – in Zeiten russischer Aggression in der Ukraine und wachsender Zweifel an der Zuverlässigkeit der USA? Dazu fand Grünen-Urgestein Joschka Fischer (76), bis 2005 Außenminister und Vizekanzler, heute ernüchternd klare Worte.
Im Rahmen der 2. Westfälschen Friedenskonferenz im historischen Rathaus von Münster hielt Fischer um 11.30 Uhr einen kurzen Vortrag. Doch der hatte es in sich – Satz für Satz!
► „Ich bin Jahrgang 1948, hineingeboren in eine Welt, die jetzt gerade verschwindet“, so Fischer. Und: „Diese Welt geht jetzt zugrunde, denn sie gründete auf der Sicherheitszusage der USA. Nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich.“ Jetzt ruinierten die USA alles, was sie in Jahrzehnten aufgebaut haben. US-Präsident Donald Trump wolle von einer liberalen hin zu einer neo-imperialen, auf Einflusszonen basierenden Weltordnung großer Mächte kommen.
Unser großer Bruder hat sich verabschiedet
► „Aus meiner Sicht ist das eine sehr antiquierte Vorstellung, das ist 19. Jahrhundert. Unser großer Bruder von jenseits des Atlantiks hat sich verabschiedet von unseren Werten und ist faktisch übergelaufen in das Lager der Autoritären. Diese bittere Erkenntnis müssen wir uns leider zumuten. Europa ist allein.“ In den USA herrsche ein Präsident, der abends, wenn er ins Bett geht, noch nicht wisse, welche unbedachten Entscheidungen er tags darauf treffen werde.
► Umso wichtiger sei deshalb jetzt das Zustandekommen der neuen Bundesregierung. Fischer: „Ich weiß nicht, ob Friedrich Merz noch gut schläft. Denn die Herausforderungen, die auf ihn zukommen – wenn er es wird – werden gewaltig sein.“ Auch wenn er selbst ihn nicht gewählt habe, ergebe sich doch die Notwendigkeit, dass ein Kanzler Merz und seine Regierung Erfolg haben müssen – „im Interesse unseres Landes und unseres Kontinents.“
Putin wird nicht aufhören
► Die Warnung Fischers vor Russland ist eindeutig: „Putin wird nicht aufhören mit seiner Aggressionspolitik.“ Sein bitteres Fazit: „Wir haben nicht auf unsere Freunde in Ost- und Mitteleuropa gehört, die ihre schmerzhaften Erfahrungen mit dem russischen Imperialismus gemacht haben. Wir sollten den Fehler nicht zweimal machen.“ Man müsse auch Abstand nehmen von „der Illusion“, dass es noch freundschaftliche Beziehungen zu den USA gebe: „Freundschaft mit einer Trump-Regierung kann ich mir nicht vorstellen, Partnerschaft ja.“
► Wenn das große Wort vom Frieden Bedeutung haben solle, so Joschka Fischer, dann müssten Deutschland und Europa in der Lage sein, den Aggressor auch abzuschrecken: „Dazu sind wir im Moment nicht in der Lage. Wir müssen uns aber in diesen Zustand versetzen“, so die Botschaft des früheren Außenministers.