Nach dem AfD-Beben in Thüringen wählen die neuen Abgeordneten am Donnerstag einen Landtagspräsidenten. Es droht ein Rechtsstreit, der das Parlament bereits in der 1. Sitzung ins Chaos stürzen könnte.

Grund: Laut Geschäftsordnung darf im 1. und 2. Wahlgang nur die AfD einen Kandidaten aufstellen, weil sie stärkste Kraft ist. Ihre Konkurrenz will deshalb neue Regeln für die Wahl durchsetzen, um einen Landtagspräsidenten aus den Reihen von Rechtsaußen Björn Höcke (52) zu verhindern.

Der Plan: CDU und BSW beantragen eine Abstimmung darüber, die Geschäftsordnung noch vor der Präsidentenwahl zu ändern. Und zwar so, dass auch alle anderen Parteien bereits in der 1. Runde Bewerber ins Rennen schicken können. Dafür reicht eine einfache Mehrheit der Abgeordneten.

CDU-Kandidat Thadäus König (42, CDU) hat gute Chancen. Denn BSW, SPD und Linke haben angekündigt, sich mit den Vizepräsidentenposten zu begnügen, könnten König sogar direkt mitwählen, so den AfD-Kandidaten verhindern.

Nach Ansicht der AfD darf die Geschäftsordnung nicht vor der Landtagspräsidentenwahl geändert werden. Am Ende könnte der Thüringer Verfassungsgerichtshof entscheiden. Denn die AfD hält sich eine Klage offen, falls ihr Machtplan scheitert.

Höcke bezeichnet den Antrag von CDU und BSW als „politischen Taschenspielertrick“. CDU-Chef Mario Voigt (47) hält dagegen: „Die AfD tut immer so, als ob sie Opfer wäre.“ Wenn man es „mit solchen Tricksern zu tun“ habe, müsse man sicherstellen, dass es zu einem rechtssicheren Verfahren komme.

Zusätzlichen Sprengstoff liefert die AfD mit der Nominierung von Wiebke Muhsal (38). Die Abgeordnete wurde 2017 zu einer Geldstrafe von 8000 Euro verurteilt, weil sie die Landtagsverwaltung betrogen hat. 2016 kam sie zu einer Debatte ums Kindergartengesetz in Vollverschleierung, um gegen den Islam zu hetzen.

AfD-Mann hat Schlüsselrolle

Gewählt ist im 1. bzw. 2. Wahlgang, wer mehr Ja- als Nein-Stimmen bekommt (einfache Mehrheit). Die AfD hat mit 32 von 88 Sitzen keine Mehrheit. Ihre Kandidatin ist also auf Ja-Stimmen aus den Reihen von CDU, BSW, Linke und SPD angewiesen. Sollte die Änderung der Geschäftsordnung misslingen und außerdem die AfD-Kandidatin wie erwartet im 1. und 2. Wahlgang durchfallen, droht eine Eskalation. Denn die Regeln für den 3. Wahlgang sind so unklar, dass sie von der Auslegung des Wahlleiters abhängig sind. Dazu gehört u.a. die Frage, wer im 3. Wahlgang Kandidaten aufstellen darf.

Erhält keiner mehr Stimmen als alle anderen zusammen, soll es in Runde vier zu einer Stichwahl der beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen kommen. Der mögliche Gipfel der Dramaturgie: Haben mehrere Kandidaten die zweitmeisten Stimmen, müsste sogar ein Los darüber entscheiden, wer ins Wahl-Finale einzieht.

Diese Schlüsselrolle übernimmt der Alterspräsident. Und das ist ausgerechnet der AfD-Abgeordnete Jürgen Treutler (73). Der Rentner hat noch nie an einer Landtagssitzung teilgenommen. Zum Üben machte er eine Art Zwei-Stunden-Crashkurs mit der Landtagsverwaltung, spielte verschiedene Szenarien durch. Zur Frage, wie er agieren will, sagt der Ingenieur: „Lassen Sie sich überraschen!“

Klar ist: Vom Antrag von CDU und BSW hält er wenig. Treutler: „Es ist sehr ungewöhnlich, dass man plötzlich die Tagesordnung ändern will, um einen Wahlsieger durch die Verlierer auszuschließen.“

Parlament droht Hängepartie

Die CDU rüstet sich bereits für einen Justiz-Krimi. Der parlamentarische Geschäftsführer, Andreas Bühl: „Wir werden auf alle Szenarien vorbereitet sein und sind auch in der Lage, sehr schnell an den Verfassungsgerichtshof heranzutreten, wenn das nötig werden sollte.“ Entsprechende Schriftstücke seien bereits erstellt.

Möglicherweise muss die Sitzung so oft unterbrochen werden, dass sie am Freitag und Samstag fortgesetzt werden muss. Der Druck, dass die Wahl gelingt, ist hoch. Denn ohne Landtagspräsident darf das Parlament keinen Ministerpräsidenten wählen.