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Über einen gewichtigen Fehler

Wir Journalisten reden und schreiben viel über Fehler der anderen. Ich möchte über einen eigenen berichten. Sicher habe ich irgendwann mal den falschen Deutschen Meister vorausgesagt oder einen Spieler zu Unrecht runter- oder raufgeschrieben. Davon soll hier nicht die Rede sein, obwohl sich einiges dieser Art finden ließe. 

Ich meine einen anderen, gewichtigeren Fehler. Einen, den ich bereue, weil er mir eigentlich schon in dem Moment klar war, als ich ihn beging. Es war im Sommer 2018, als ich nach Russland reiste, um über die Weltmeisterschaft zu berichten. 

Nach dem erstmaligen Vorrundenaus der DFB-Elf schrieb ich viel über die Egokrise der deutschen Fußballer und den Bruch der Nation mit dem Weltmeister Mesut Özil. Zweifellos wichtige Themen. Das war meine Aufgabe. Aber dazu zählt natürlich auch, so verstehe ich meinen Job, sich mit den gesellschaftlichen und politischen Umständen eines Turniers zu befassen. Darüber verlor ich allerdings kein Wort. Ich habe einfach mitgemacht. Ich war Teil des naiven Appeasements gegenüber Russland. Obwohl ich es schon damals nicht gut fand, dass die WM dort stattfand.  

Hatte ich keine Lust auf den Shitstorm, dem man zu dieser Zeit ausgesetzt war, wenn man Russland den Spiegel vorhielt? Habe ich es gescheut, mich mit Leuten anzulegen, die Medien Russlandhetze vorhielten – und von denen es auch in meinem Umfeld welche gab? War ich der Krankheit Russland-Romantik verfallen, die Deutschland heute viel Geld und die Ukraine viele Menschenleben kostet? 

Es ist nicht so, dass ich mich nicht für das Thema interessiert hätte. Ich traf mich in St. Petersburg mit einem Mitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial. Er war über 80, hatte als Kind die Belagerung seiner Heimatstadt durch die Nazis überlebt. Ich habe die kleine, dunkle Kammer vor Augen, in der wir stundenlang saßen. Und im Ohr habe ich noch seine Warnungen vor Putin. Hätten wir mal auf ihn gehört. 

Ich weiß nicht, warum ich nicht darüber geschrieben habe. Was ich weiß: Damals war genug über Putin bekannt, um eine WM in diesem Land abzulehnen. Die Krim war schon annektiert, das Donezk-Gebiet umkämpft, Boris Nemzow erschossen, Anna Politkowskaja ermordet, Georgien destabilisiert, Tschetschenien verheert. Es war längst klar, dass Russland von einem lupenreinen Mafioso regiert wird. 

Das wird es noch immer, nur dass die Lage seitdem durch den vollumfänglichen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 eskaliert ist und Putin einen hybriden Krieg gegen viele führt. Dennoch wird das Internationale Paralympische Komitee Russland und Belarus wieder bei den Winterspielen mitmachen lassen. Im März 2026, so wurde nun bekannt, sollen in Mailand und Cortina d’Ampezzo die Flaggen der beiden Kriegsnationen flattern. 

Der Wunsch nach einer Rückkehr Russlands ist verbreitet im Sport, auch andere Verbände führen Ähnliches im Schilde. Der Uefa-Präsident Aleksander Čeferin sprach jüngst vielsagend von einer „politischen Hysterie“ gegenüber Russland. 

Immer wieder ist zu hören, die Welt sei nicht nur schwarz und weiß. Heißt: Man müsse beide Seiten verstehen. Das ist schwer erträglich, Putins Russland gehört nicht auf den Platz, sondern nach Den Haag. 

Gleichzeitig diskutiert die Uefa gerade darüber, Israel aus ihren Wettbewerben auszuschließen. Israels Kritiker wie der Präsident des Türkischen Fußballverbands oder Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez verweisen dabei auf Russland. „Man sollte gegen Israel dieselben Mittel benutzen, die man auch gegen Russland benutzt hat“, sagt sogar der israelische Historiker Moshe Zimmermann im

Man kann darüber diskutieren. Was Israel in Gaza tut, lässt sich schon lange nicht mehr mit Selbstverteidigung rechtfertigen. Wie die teils rechtsextreme Regierung die Verbrechen kommentiert, ist ungeheuerlich.  

Natürlich will ich nicht denselben Fehler machen wie 2018 und Kriegsverbrechen ignorieren. Bloß kann ich noch nicht sagen, wie ich zu einem Ausschluss Israels stehen soll. 

Mich überzeugt der Vergleich Israels mit Russland nicht. Es gibt keine ukrainische Hamas. Und könnte es sein, dass dieser Vergleich taktische Gründe hat? Dass einige ihn ziehen, um Russland den Weg zurück in den Sport zu ebnen? 

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