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Immerhin durfte Selenskyj im Blair House übernachten

Welche Rolle Andrea Bocelli dabei spielte, den US-Präsidenten
am Freitagvormittag in die richtige Stimmung zu versetzen, ist unklar. Der
italienische Tenor war kurz vor dem Eintreffen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ins Weiße Haus geladen worden und gab Donald Trump dann im Oval Office ein Ständchen: . Dass die Liedauswahl ein Wink an den nächsten Besucher war, kann man wohl ausschließen. Bocelli gilt als
Ukraine-Unterstützer, mit seiner Stiftung sammelt er unter anderem Geld für
Kriegsopfer. Trump wiederum ist ein großer Fan des Sängers und spielt
dessen berühmten Song gerne bei seinen Wahlkampfevents.

Etwas später nahm sich Trump dann knapp zweieinhalb Stunden Zeit für Selenskyj,
der mit großen Hoffnungen angereist war. Das Treffen hatte also ungefähr dieselbe Länge wie das kurzfristig
anberaumte Telefonat des US-Präsidenten mit Wladimir Putin am Vortag. Das wurde in Washington erst einmal als gute Nachricht gewertet – noch in lebhafter
Erinnerung ist der Moment aus dem Februar, als der ukrainische Präsident
überraschend aus dem Weißen Haus rausgeschmissen wurde und eine angekündigte Pressekonferenz
abgesagt wurde. Ebenfalls auf der Positivliste wurde vermerkt, dass Selenskyj im Blair House übernachten durfte, dem Gästehaus der US-Regierung gleich
neben dem Weißen Haus. Dort war er das letzte Mal unter Trumps
Vorgänger Joe Biden einquartiert worden.

Die Ausgangsbedingungen für diesen bereits dritten Besuch
von Selenskyj waren also gar nicht schlecht. Und Selenskyj zeigte, dass er von früheren Begegnungen gelernt hat: So lobte er zum Auftakt des Treffens, das dieses
Mal aus einem Mittagessen im Kabinettsraum bestand, Trumps Erfolge in Nahost –
und betonte, wie sehr er darauf hoffe, dass man dieses „Momentum“ nun auch für
die Ukraine nutzen könne
. Er sei zuversichtlich, „dass wir mit Ihrer Hilfe
diesen Krieg beenden können“, sagte Selenskyj. Trump blieb sogar entspannt, als ihn eine Reporterin der Nachrichtenagentur AFP fragte, ob Putin sich mit dem Treffen
in Budapest nicht einfach nur wieder Zeit gekauft habe. „Mein ganzes Leben haben
die Besten versucht, mich auszutricksen“, antwortete Trump. „Und ich bin da immer
gut herausgekommen.“ Er, das wird deutlich, ist fest von seinen -Fähigkeiten
überzeugt. 

Die Hoffnung auf Tomahawks wurde im Tagesverlauf immer kleiner

Auch für die Ukraine möchte Trump einen Deal, ein Ende der Kampfhandlungen, um anschließend behaupten zu können, er habe einen weiteren Krieg beendet. Seiner Rechnung zufolge wären das dann neun. Selenskyj versuchte, Trump in diesem Vorhaben zu bestärken. Nach seiner Vorstellung geht das allerdings nur, wenn Putin klargemacht wird, dass er den Krieg nicht gewinnen kann. Daher wollte Selenskyj Trump zu einer Lieferung der ersehnten Tomahawk-Marschflugkörper bewegen. Die Bereitstellung dieser Waffen, mit denen die ukrainische Armee Ziele tief in
russischem Territorium treffen könnte
, soll Putin an den Verhandlungstisch zwingen. 

Vor wenigen Tagen hatte Trump diese Möglichkeit noch selbst ins Spiel gebracht. Doch nach seinem
Telefonat mit Putin am Donnerstag, bei dem beide ein zweites Gipfeltreffen ausmachten, diesmal in
Ungarn, war kaum noch damit zu rechnen gewesen, dass er diese
Eskalationsstufe zündet. Im Beisein von Selenskyj sagte Trump, der Krieg könne hoffentlich beendet werden, ohne dass er über Tomahawks nachdenken müsse. Ob er dies jemals ernsthaft erwogen hat oder die
Drohung lediglich als Druckmittel auf Putin nutzte, ist damit nicht abschließend zu klären. Trump sagte zudem, diese „sehr gefährlichen“ Waffen benötigten die USA vorrangig für sich selbst.

Nach dem nicht öffentlichen Teil des Gespräches, an dem unter anderem Vizepräsident JD Vance und Außenminister Marco Rubio teilnahmen, machte sich Trump auf den Weg nach Florida. Fragen beantwortete er zunächst keine. Dafür trat Selenskyj vor die Presse, die neben
dem Blair House auf ihn gewartet hatte. Zuvor hatte er noch europäische Spitzenpolitiker über das Gespräch informiert. Einen Durchbruch konnte er nicht verkünden. 

Man
habe über Sicherheitsgarantien für sein Land nach einem möglichen Kriegsende gesprochen,
sagte der ukrainische Präsident. Und wie wichtig es sei, dass sich die USA daran beteiligten. Das Thema Tomahawks sei aufgekommen, mehr verriet er nicht. Auch sei keine
Zeit gewesen, um über Sanktionen zu sprechen. Aber ja, er sei bereit, Putin zu
treffen – etwas, was Letzterer bislang ablehnt. Putin bezeichnet Selenskyj
immer wieder als illegitimen Präsidenten und möchte eigentlich nur mit Trump direkt über die
Zukunft der Ukraine verhandeln. 

Selenskyj äußert sich uneindeutig über Gebietsabtretungen

Noch während Selenskyj sprach, setzte Trump aus der Luft einen ersten Post auf seiner Onlineplattform ab. Dort schrieb er: „Das Treffen
mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj war sehr interessant und
herzlich, aber ich habe ihm gesagt, wie ich es auch Präsident Putin
nachdrücklich nahegelegt habe, dass es Zeit ist, das Töten zu beenden und einen
Deal zu schließen!“ Es sei genug Blut vergossen worden, die Grenzen würden „durch
Krieg und Mut“ definiert. „Sie sollten dort aufhören, wo sie sind. Lasst beide
den Sieg für sich beanspruchen, lasst die Geschichte entscheiden! Keine
Schießereien mehr, kein Tod mehr, keine riesigen und untragbaren Geldsummen
mehr.“

Auf den Post angesprochen, sagte Selenskyj, Trump habe recht.
„Wir müssen aufhören, wo wir sind.“ Hatte der ukrainische Präsident da auf einmal
öffentlich eingestanden, dass Gebietsabtretungen nicht zu vermeiden sind? Wohl
kaum. Denn Trumps Forderung, Frieden auf der Grundlage des derzeitigen Frontverlaufs
zu schließen, würde bedeuten, dass die Ukraine 20 Prozent ihres Territoriums verliert. Das hat Selenskyj bisher immer ausgeschlossen. Die wahrscheinliche
Erklärung lautet daher, dass er die Frage nicht richtig verstanden und das „Aufhören“ lediglich auf die Kampfhandlungen bezogen hat. Selenskyj wurde dann noch gefragt, ob er optimistisch in Bezug auf die Tomahawks sei. Seine Antwort: „Ich bin realistisch.“

Nach seiner Ankunft legte Trump nach und erklärte, die beiden Kriegsparteien müssten „sich an die Frontlinie halten, wo auch immer sie sich befindet, sonst wird es zu kompliziert“. Und bezeichnete das Treffen mit Selenskyj als „ein sehr gutes Treffen, ein sehr herzliches Treffen“.

Zweifel an dieser Darstellung weckte indes etwa ein Bericht der Nachrichtenseite , der sich auf informierte Quellen im Weißen Haus beruft. Darin heißt es, Trump habe Selenskyjs Forderung nach Tomahawk-Marschflugkörpern in einem „harten“ Treffen zurückgewiesen. Der US-Präsident habe deutlich gemacht, dass seine Priorität nun die Diplomatie sei, und er glaube, dass die Lieferung von Tomahawks diese untergraben könnte. Das Treffen endete demnach abrupt, als Trump sagte: „Ich glaube, wir sind fertig. Mal sehen, was nächste Woche passiert.“