Trotz seines klaren Siegs bei der tschechischen Parlamentswahl könnte jetzt die schwierigste Aufgabe seiner politischen Karriere vor Andrej Babiš liegen: Er wird vermutlich auf zwei Koalitionspartner angewiesen sein, um eine ausreichende Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu erreichen – und weil er eine Zusammenarbeit mit den Parteien der bisherigen Mitte-rechts-Koalition kategorisch ausgeschlossen hat, bleiben ihm dafür nur zwei Partner übrig: die Rechtsnationalen, die ein Referendum über den Austritt aus der EU als oberstes Ziel haben. Und die Autofahrerpartei Motoristé, die vor allem den Green Deal kippen möchte.
Das Ergebnis der Wahl fiel deutlicher aus, als es bis zuletzt in den Umfragen ausgesehen hatte: Die bisherige Mitte-rechts-Koalition von Premierminister Petr Fiala verliert, seine eigene Gruppierung Spolu („Gemeinsam“) kommt auf gerade einmal 23 Prozent der Stimmen. Die ebenfalls konservative Bürgermeisterpartei erreicht 11, die linksliberale Piratenpartei 6,7 Prozent. Neu im Parlament vertreten ist die Autofahrerpartei, die auf Anhieb 6,8 Prozent erzielte.
Großer Sieger ist Andrej Babiš, der mit 35 Prozent ein neues Rekordergebnis einfährt. Von der Frage, mit wem er koaliert, hängt auch die weitere außenpolitische Ausrichtung Tschechiens ab. Im Wahlkampf hatte Babiš versprochen, die Unterstützung für die überfallene Ukraine stark zurückzufahren.
„Gipfel meiner politischen Karriere“
Andrej Babiš‘ Partei ANO lässt sich im gängigen Rechts-links-Schema nur schwer verorten: Als er von 2017 bis 2021 bereits Regierungschef war, sprach er in der damaligen Koalition mit den Sozialdemokraten durch eine ausgeprägte Sozialpolitik eine eher linksorientierte Wählerschaft an; im Europaparlament gehört ANO seit 2024 allerdings zur Rechtsaußen-Fraktion der Patrioten. Babiš selbst gilt als unideologisch – Beobachter bezeichnen ihn als politisches Chamäleon mit feinem Gespür für die Stimmungen im Land. Als Extremist gilt er selbst unter seinen politischen Gegnern nicht. „Wir wollen, dass Tschechien der beste Ort zum Leben in der ganzen Europäischen Union wird“, sagte Andrej Babiš bei seinem ersten Auftritt nach der Wahl. Und mit Blick auf den Rekordwert seiner Partei fügte er hinzu: „Das ist für mich der Gipfel meiner politischen Karriere.“
Klar ist indes: Die Wahl hat die Extreme auf beiden Seiten des politischen Lagers geschwächt. Die Rechtsnationalen (, „Freiheit und direkte Demokratie“) haben gegenüber der zurückliegenden Wahl deutlich verloren und liegen nun bei weniger als 8 Prozent der Wählerstimmen. Die Kommunisten, die gemeinsam mit den Sozialdemokraten ein neues Linksbündnis mit dem Namen („Es reicht!“) gegründet hatten, bleiben unter der Fünf-Prozent-Hürde.
Viele Tschechen stellen sich jetzt dennoch vor allem die Frage, wie es mit dem außenpolitischen Kurs des Landes weitergeht. Genau deswegen hielt der tschechische Präsident Petr Pavel kurz vor der Wahl eine viel beachtete Ansprache, die von mehreren Fernseh- und Radiosendern live übertragen wurde. Der Präsident war früher ein hochrangiger Nato-General und genießt im Land großes Vertrauen. „Wir brauchen eine Regierung, die uns nicht Russland ausliefert mit seinen Bemühungen, seine Einflusssphäre in Mittel- und Osteuropa zu erneuern.“ Die nächste Regierung müsse dem Land weiterhin Sicherheit gewährleisten, so der Präsident weiter. Und: „Die haben wir dank unserer festen Verankerung in der Europäischen Union und vor allem durch die stärkste Verteidigungsallianz der Welt, die Nato.“
Wandel der tschechischen Ukraine-Politik
Sorgen hatten vielen Politologen im Vorfeld vor allem die politischen Extreme gemacht. Sowohl die Rechtsnationalen als auch die Kommunisten streben einen Austritt aus der EU und der Nato an. Babiš selbst zeigt sich gern Seite an Seite mit den prorussischen Regierungschefs aus der Nachbarschaft, mit Viktor Orbán aus Ungarn und Robert Fico aus der Slowakei. Zu seinen zentralen Wahlversprechen gehörte es, die viel beachtete Munitionsinitiative einzuschränken, mit der Tschechien auf diplomatischen Kanälen überall auf der Welt Granaten für die ukrainische Verteidigung organisiert hat. Auch gegenüber den ukrainischen Flüchtlingen, von denen mehrere Hunderttausend im 10,5-Millionen-Einwohnerland Tschechien aufgenommen worden sind, hat er einen härteren Kurs angedeutet. An die Adresse der Rechtsnationalen hat Andrej Babiš allerdings schon vor der Wahl eine klare Ansage gemacht: „Niemals werde ich ein Referendum über einen Austritt aus der EU oder der Nato zulassen!“ In seiner ersten Amtszeit als Premierminister zeigte er sich als pragmatischer Europäer.
Andrej Babiš ist eine schillernde Persönlichkeit – und im Land denkbar umstritten: Der 71-Jährige ist mit einem Agrar- und Lebensmittelkonzern zu einem der reichsten Tschechen aufgestiegen. Weil vor allem sein Agrargeschäft bis heute viele Subventionen aus dem EU-Haushalt bekommt, wird ihm auch aus Brüssel ein Interessenkonflikt vorgeworfen; wegen Betrugsvorwürfen musste er sich schon vor Gericht verantworten. Im Jahr 2011 gründete Andrej Babiš die Bewegung ANO – ein Akronym für „Allianz unzufriedener Bürger“. Er kokettiert gern damit, dass der Schritt in die Politik die schlechteste Entscheidung seines Lebens gewesen sei.
Die Schlüsselrolle kommt jetzt dem Präsidenten Petr Pavel zu: Nach der tschechischen Verfassung muss er den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. Nur wer diesen Auftrag hat, kann offiziell Koalitionsverhandlungen führen; erst wenn die ohne Ergebnis bleiben, beauftragt der Präsident jemand anderes. Der Präsident hat bereits angekündigt, vom frühen Sonntag an individuelle Vorgespräche mit allen Parteivorsitzenden zu führen.