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Die Koalition ist da, der Wille fehlt

Was immer Donald Trump und Wladimir Putin ausdealen werden in Alaska, das Ergebnis absichern müssen vor allem: die
Europäer. Was das wiederum bedeutet, finanziell wie militärisch, hat sich
entweder noch nicht in allen europäischen Hauptstädten herumgesprochen. Oder
aber Regierungschefs wie Friedrich Merz wissen es, scheuen sich aber davor, es
ihren Bevölkerungen klarzumachen.

Die Ehrlichkeit begänne mit der
Feststellung, dass Friedensabkommen mit Wladimir Putin wertlos sind, wenn sie
nicht mit enormer Abschreckung hinterlegt werden. Erinnert sich jemand an die
Waffenstillstandsabkommen mit den Namen Minsk I und Minsk II? Die
Vereinbarungen von 2014 und 2015 sollten die erste Invasion Putins in die
Ukraine stoppen. Die sprichwörtliche Tinte auf den Papieren war allerdings noch nicht trocken,
als russische Truppen schon wieder Vorstöße unternahmen. Den OSZE-Beobachtern blieb nur, tja,
zu beobachten, wie Russlands Truppen die Verabredungen ignorierten (wenn sie
nicht gar gekidnappt oder in russische Haft verschleppt
wurden). Sieben Jahre später versuchte
Putin die Großinvasion, samt Einnahme von Kyjiw.

Frieden mit Russland nur durch Stärke

Wenn die Geschichte diesmal anders verlaufen
soll, braucht es die glaubhafte Androhung schmerzhafter Konsequenzen für den
Fall, dass Russland sich nicht an Verabredungen hält. Dafür allerdings müsste
sich Europa nicht nur von den USA emanzipieren, sondern auch von der eigenen,
über Jahrzehnte eingeübten militärischen Verantwortungsverschiebung nach
Amerika.

Der britische Regierungschef Keir
Starmer hat als Erster den Realismus aufgebracht, zu formulieren, was das heißen
muss: , Frieden mit Russland sei nur durch Stärke
Europas zu erreichen. Schon vor Monaten warb er deshalb dafür, dass die
Europäer eine „Koalition der Willigen“ schmieden müssten, um der Ukraine
Sicherheitsgarantien zu bieten, wohl wissend, dass Donald Trump dazu
allenfalls noch eingeschränkt bereit sein dürfte.

Die Koalition gibt es. Nur der
Wille fehlt ihr. Seit Februar haben sich auf Initiative Starmers immer wieder
bis zu 30 Vertreter europäischer Länder und Institutionen getroffen oder sich
virtuell beraten, wie sie den US-amerikanischen Solidaritätsentzug gegenüber der
Ukraine kompensieren könnten. Der europäische Team-Spirit ist bislang aber eher
ein Teams-Spirit – ein Geist der Videoschalten und Ankündigungen statt der
konkreten Anstalten.

Die Ukraine will 200.000 Soldaten

Regelrecht vergrätzt reagierte die
britische Regierung über die öffentlichkeitswirksame
Art, mit der unter anderem Friedrich Merz immer wieder Forderungen an Trump
stellte, während Starmer seit Monaten versuchte, in vertraulichen
Gesprächen auf die US-Regierung einzuwirken. Das sei „nicht hilfreich“, ließ
sich ein anonymer Regierungsvertreter in Westminster vom zitieren. Hilfreich wären aus Londoner Sicht ein paar
konkrete Zusagen.

Mindestens 200.000 europäische
Soldaten seien nötig, um einen Waffenstillstand mit Russland abzusichern, sagt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Eine kleinere Zahl sei
gleichbedeutend mit „nichts“.  Selbst
wenn man diese Zahl halbiert, ist Europa weit davon entfernt, sie zu erreichen.
Lediglich Großbritannien und Frankreich haben sich bisher bereit erklärt,
gegebenenfalls Friedenstruppen in die Ukraine zu entsenden. Konkrete Angaben gibt es nicht, aber wenn beide Länder es schaffen würden, 20.000
Soldaten zu stellen, wäre das laut einer Experteninnenschätzung
schon viel. Polen, Spanien und
Italien haben ein militärisches Engagement bereits ausgeschlossen, die baltischen Staaten und Finnland zeigen nervös auf ihre eigenen Grenzen, die es zu
sichern gilt.

Eine neue Demarkationslinie zwischen Ost und West

Friedrich Merz meidet das Thema ganz einfach.
Innenpolitisch ist das verständlich, der Mann hat schon genug andere Probleme,
die Koalitionssprengpotenzial besitzen. Nur weltpolitisch sollte man gerade
von Deutschland erwarten, zu sehen, worum es geht: um die Absicherung einer
neuen Demarkationslinie zwischen einem freien Westen und einem unfreien Osten, gegen
die die innerdeutsche Grenze ein Klacks war. Und mit dem Unterschied, dass Amerika diesmal keine Garantiemacht mehr ist. Die Vereinigten Staaten
führen längst einen neuen Kalten Krieg mit dem Hegemonie-Rivalen China und
haben keinen Nerv mehr für nachgelagerte, ureigene europäische Probleme.

Wie das US-Nachrichtenportal berichtet, soll Trump
während der Videoschalte mit Merz und den anderen Europäern am Mittwoch zwar
klargemacht haben, dass die USA Sicherheitsgarantien für die Ukrainer
unterstützen wollten, er allerdings nicht mehr bereit sei, Waffen direkt in die
Ukraine zu liefern. Die Europäer müssten sie künftig vielmehr bei den
Amerikanern kaufen – womit sie schon begonnen haben.

Im Englischen
gibt es die schöne Wendung , was so viel bedeutet
wie: Wenn du so wahnsinnig überzeugt von etwas bist, dann beweise es, indem du
dein Geld reinsteckst. Wenn Europa also – zu Recht – das Prinzip heilig ist,
dass Grenzen nicht mit Gewalt verschoben werden dürfen, welches Preisschild
kleben sie dann daran? Die Schuldenbremse zu lösen, um den Rüstungsetat
aufzustocken, ist das eine. Noch einmal etwas ganz anderes wäre ein
möglicherweise jahrzehntelanges Engagement der Bundeswehr an der Grenze zu
Russland.

Momentan scheint es drei
Möglichkeiten zu geben: Europa schickt deutlich mehr Friedenstruppen in die
Ukraine, als es bisher bereit ist zu tun. Oder es rüstet das Land mithilfe von
Waffenkäufen aus den USA zu einem Stachelschwein auf, das Putin sich nicht mehr
anzugreifen traut. Oder, am glaubwürdigsten, es tut beides. So oder so,
es wird teuer und politisch heikel. Wann beabsichtigt der Kanzler, darüber
ehrlich zu werden?