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„Das Wichtigste für Antoni war Integrität“

Sie begegnen einem selten, diese Menschen, in deren Nähe man sich sofort wohlfühlt. So ein Mensch war der französische Fotograf Antoni Lallican. Einer, der strahlte, der immer eine Anekdote parat hatte, und die Gabe, jede Situation aufzulockern. Einer, der bereitwillig auf eigenen Komfort verzichtete, um einer anderen Person zu helfen. Einer, der mit seinen Fotos so gut von den Menschen im Krieg erzählen konnte, weil er ihnen genau zuhörte, weil er verstehen wollte, was sein Gegenüber bewegte.

So berichten es jene, die mit Antoni Lallican arbeiteten und ihn liebten. So habe auch ich ihn kennengelernt. Ich traf Antoni Lallican und den ukrainischen Fotografen Heorgij Iwantschenko – diese engen Freunde, die seit Beginn der russischen Invasion so oft in der Ostukraine zusammenarbeiteten – zuletzt Ende März. Eine Freundin hatte mir ein Taxi zu Iwantschenkos Wohnung bestellt. Ich musste nach einer mehrtägigen Recherche noch ein paar Stunden auf den Zug um Mitternacht warten. Iwantschenko würde mir Tee geben, schrieb sie.

Lallican und Iwantschenko hießen mich willkommen wie eine langjährige Freundin, obwohl wir uns kaum kannten. Am nächsten Tag würden die beiden an die Front fahren, sie mussten Details mit den Einheiten klären, die sie begleiten würden, und packen. Trotzdem setzten sie sich zu mir, wir hörten Musik und teilten Geschichten. Als ich kein Taxi mehr bekam, rasten wir in Iwantschenkos Auto zum Bahnhof, rannten zum Zug. „Ihr habt meine Stimmung um 100 Prozent gehoben“, schrieb ich ihnen.

Antoni Lallican, 37, ist am Freitag von einer russischen FPV-Drohne getötet worden – oder richtiger: von einem russischen Piloten, der seine mit Sprengstoff bepackte Drohne auf ihn und Heorgij Iwantschenko stürzen ließ. Iwantschenko überlebte schwerverletzt, die Ärzte nahmen ihm ein Bein ab. Lallican und Iwantschenko arbeiteten zum Zeitpunkt des Angriffs gut 15 Kilometer von der Front entfernt. Sie trugen Schutzwesten mit der Aufschrift „Press“. Der russische Pilot muss das gesehen haben. Er verstieß gegen das humanitäre Völkerrecht, indem er einen Journalisten tötete.

Er liebte das Leben

Antoni Lallican, der ursprünglich Pharmazie studiert hatte, entdeckte die Fotografie erst spät für sich, da war er schon 30. Er dokumentierte zunächst das Leben in seiner Nachbarschaft in Paris, absolvierte einen Fotografiekurs. Als freier Journalist machte er sich schnell einen Namen, arbeitete für große internationale Medienhäuser. Seinen Schwerpunkt – die Arbeit in Kriegsgebieten – fand er 2020, als er über den Konflikt um Bergkarabach berichtete. 

Sieht man sich Antoni Lallicans Fotos an, bekommt man das Gefühl, den darauf abgebildeten Menschen nahezukommen. Man blickt oft in Augen, in denen Schmerz zu sehen ist, Verletzlichkeit oder Entschlossenheit, aber vor allem Vertrauen. Lallican nahm sich Zeit für seine Fotografien, er kam nicht irgendwo an, um einen Auftrag zu erledigen oder mit seinen Fotos einen Preis zu gewinnen. Er wollte verstehen, was dort, wo Kriege das Leben auffressen, wirklich passiert, und es in die Welt tragen.

Antoni Lallican schaffte es zugleich, professionelle Distanz zu wahren und menschlich zu bleiben: ein Spagat, an dem viele in diesem Beruf scheitern. Für sein Projekt aus der Ukraine erhielt er im vergangenen Jahr den Victor-Hugo-Preis für engagierte Fotografie. Er vermische Kunst und Anteilnahme, hieß es im Text, der die dazugehörige Ausstellung begleitete.

Fragt man seinen besten Freund, den Fotografen Adrien Vautier, welcher Moment beschreibt, was für ein Mensch Antoni Lallican war, erzählt er von einem Tag im März 2022. Damals fotografierte er Seite an Seite mit Lallican die Evakuierung von Zivilistinnen und Zivilisten aus dem Kyjiwer Vorort Irpin. „Als er einen verletzten Zivilisten sah, der allein war, eilte er sofort zu ihm, um ihm zu helfen und ihn zu den Rettern zu tragen“, sagt Vautier.

„Aber“, fügt Vautier hinzu, „er achtete auch darauf, sich das Trauma der Menschen, denen er überall auf der Welt begegnete, nicht anzueignen.“ Vautier lernte Lallican im Jahr 2020 bei der Arbeit in Bergkarabach kennen, schnell entwickelten die beiden eine enge Freundschaft. Vautier ist zurzeit mit einem kleinen Kreis an Freunden im Osten der Ukraine, um dort das Nötigste zu regeln. Er beantwortet meine Fragen deshalb per WhatsApp.

„Das Wichtigste für Antoni war Integrität“, schreibt Vautier. „Antoni war ein ehrlicher Mensch und er war auch überzeugt, dass das für einen Fotografen eine Grundvoraussetzung ist.“ Die freie Journalistin und ZEIT-Autorin Andrea Backhaus, die zuletzt in Syrien mit Lallican gearbeitet hat, sagt: „Er hatte einen hohen Anspruch an den Journalismus und die Ethik und die Wahrheit.“ Sie habe ihn als jemanden kennengelernt, der neugierig sei, der nicht mit einer vorgefertigten Meinung irgendwo hinfahre, wie es viele andere tun.

Erst kürzlich hatte Antoni Lallican eine eingetragene Lebenspartnerschaft mit seiner Freundin Aïda geschlossen. Er liebte das Leben, er schätzte all jene, die er um sich hatte. „Für ihn war das Gleichgewicht zwischen seiner Arbeit und seiner Beziehung zu Aïda, seiner Partnerin, wichtig“, schreibt Vautier. „In diesem Beruf kann es vorkommen, dass man die Arbeit über seine Liebsten stellt – das war bei Antoni nie der Fall. Er war immer für seine Partnerin, seine Familie und seine Freunde da.“

Nur wenige Tage sind seit dem tödlichen Angriff auf Antoni Lallican vergangen. Sein Tod schockiert und schmerzt – in Frankreich, in der Ukraine, im Nahen Osten, und auch an all den anderen Orten, an denen Antoni Lallican sogar im Krieg Menschen mit seiner herzlichen Art zum Lachen brachte.