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Das weiß man über den mutmaßlichen Nord-Stream-Saboteur

Er hatte eingecheckt in einem 3-Sterne-Resort in dem kleinen Ort Sant’Andrea in Casale in der Nähe von Rimini: Bungalows mit eigenen Whirlpools, ein Teich zum Angeln, ein reichhaltiges Frühstücksbuffet, so präsentiert sich die Anlage im Internet. Fünfzehn Autominuten entfernt von der Adriaküste wollte Serhij K., ein 49-jähriger Ukrainer, hier mit seiner Frau und seinen beiden Kindern diese Woche in Ruhe seinen fünftägigen Urlaub zu Ende bringen. Doch deutsche Ermittler hatten seine Reisebewegungen beobachtet und einen internationalen Haftbefehl beantragt. In der Nacht zu Donnerstag nahmen ihn italienische Polizeibeamte des Reviers Misano Adriatico fest, er soll keinen Widerstand geleistet haben.

Laut Generalbundesanwalt ist er dringend der verfassungsfeindlichen Sabotage verdächtig, der Zerstörung von Bauwerken, namentlich der Nord-Stream-Röhren auf dem Grund der Ostsee, an denen er gemeinsam mit anderen eine Sprengstoffexplosion herbeigeführt haben soll. Serhij K.s Anwalt wollte am Telefon gegenüber der ZEIT nicht zu den Vorwürfen Stellung nehmen. In der italienischen Presse sagte er, sein Mandant bestreite sie.

Nach einem Film benannt

Es ist die erste Festnahme im Fall der gesprengten Nord-Stream-Röhren, einem der politisch heikelsten Sabotagefälle der letzten Jahrzehnte. Sie sollten Deutschland mit russischem Gas versorgen, doch das Geschäft stoppte nach Russlands Überfall auf die Ukraine. Am 26. September 2022 schließlich sprengten Unbekannte drei der vier Röhren mit Bomben, Bilder einer vor Gas blubbernden Ostsee gingen um die Welt. Ebenso die Nachricht, dass die wichtigsten Spuren, die die Ermittler danach verfolgten, ausgerechnet in die Ukraine führten. In ein mit Deutschland verbündetes Land also, das im Kampf gegen den Angreifer Russland Hilfe benötigt.

Der Mann, der nun festgenommen wurde, scheint sogar Verbindungen zu staatlichen ukrainischen Stellen zu haben. Nach Informationen des soll er bis vor etwa zehn Jahren für den ukrainischen Geheimdienst SBU gearbeitet haben. Laut Unternehmensdaten, die die ZEIT einsehen konnte, ist er zudem bis heute in einem Verband von Sicherheitsdienst-Reservisten aktiv. 

Nach seiner aktiven Geheimdienstzeit aber scheint er in die Privatwirtschaft gewechselt zu sein, er führt jetzt Energieunternehmen, betreibt Solarkraftwerke und eine Porzellanfabrik. Im Internet hat er sich teils nach Korben Dallas benannt, dem Protagonisten des Science-Fiction-Films , in dem ein ehemaliger Soldat der Spezialkräfte die Welt rettet. 

Anders als Dallas in dem Hollywood-Streifen soll Serhij K. im Fall der Nord-Stream-Sabotage aber eher als Koordinator tätig gewesen sein, für eine siebenköpfige ukrainische Crew: Neben Serhij K. sollen fünf weitere Männer und eine Frau dazu gehört haben. Sie sollen im Spätsommer 2022 mit falschen Pässen ein Boot namens gemietet haben und zu den Pipelines gesegelt sein. Nach Überzeugung der Ermittler brachten dann Taucher die Bomben am Meeresgrund an.

Nach Haftbefehl in die Ukraine geflohen

Bereits im vergangenen Sommer hatte ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof einen Haftbefehl gegen einen von ihnen ausgestellt: gegen Wolodymyr S. Er wohnte mit seiner Familie in der Nähe von Warschau. Nachdem die deutschen Ermittler ihren Haftbefehl an die polnischen Behörden übermittelt hatten, wurde der Taucher jedoch gewarnt, er floh über die Grenze in die Ukraine.

Jetzt gibt es mit der Festnahme Serhij K.s eine weitere Möglichkeit, den Fall Nord-Stream für die Öffentlichkeit aufzuklären. Bis mindestens Anfang September, so heißt es seitens der italienischen Behörden, soll er dort in Untersuchungshaft bleiben. Danach könnte er nach Deutschland überstellt und von Ermittlern befragt werden, voraussichtlich auch von einem deutschen Gericht. Die Ergebnisse werden der Öffentlichkeit präsentiert werden.

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