Seeg (Allgäu) – Seit mehr als eineinhalb Jahren sitzt der Erste Bürgermeister von Seeg, Markus Berktold (50, CSU), in U-Haft. Im Januar verurteilte ihn das Landgericht Nürnberg-Fürth zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis. Sein Bürgermeister-Gehalt bekommt er dennoch.
Der Vorwurf: Er soll zusammen mit dem Leiter eines Pflegedienstes rund zwei Millionen Euro an Coronahilfen unrechtmäßig abgerechnet und mehr als eine Million Euro bei der Betreibergesellschaft des Seeger Seniorenheims veruntreut haben. Das Urteil ist bisher nicht rechtskräftig. Eine Entscheidung vom Bundesgerichtshof (BGH) steht aus. Neuwahlen sind deshalb unmöglich.
Die Folge: Obwohl der Bürgermeister in Haft sitzt, muss ihm die 3100-Seelen-Gemeinde weiter Gehalt zahlen.
Bei Rechtsfehler wird das Verfahren neu aufgerollt
„Das sind jetzt schon über 200 000 Euro“, bestätigt der zweite Bürgermeister Lorenz Schnatterer (56) auf Anfrage von BILD und erklärt: „Niemand weiß, wann der BGH ein Urteil fällt.“
Aber: Findet der BGH in der Urteilsbegründung Rechtsfehler, wird das Verfahren zurückverwiesen und ein neuer Prozess vor einer anderen Kammer in Nürnberg-Fürth (Bayern) geht von vorn los. Außerdem fürchtet Schnatterer, dass nach einem rechtskräftigen Urteil der Noch-Bürgermeister das Geld nicht zurückzahlen kann.
Zweiter Bürgermeister arbeitet ehrenamtlich
Schnatterer führt die Amtsgeschäfte ehrenamtlich: „Da geht viel Freizeit drauf.“ Eigentlich ist er Key Account Manager bei einer Werkzeugmaschinenbau-Firma. „Wenn während meiner Arbeitszeit im Rathaus etwas zu erledigen ist, wird mir der Lohnausfall von der Gemeinde erstattet.“
Viele im Ort sind unglücklich und sehnen sich nach Normalität. „Die Leute würden gern einen Schlussstrich ziehen und einen neuen Bürgermeister wählen“, sagt Schnatterer, der gerade ein 1,8-Millionen-Euro-Projekt für eine Wasserversorgungs-Anlage realisiert.
Das Disziplinarverfahren vor einem Verwaltungsgericht gegen Berktold ruht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens. Die Disziplinarbehörde müsse warten, bis das Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Bis dahin gilt für den ersten Bürgermeister die Unschuldsvermutung, er kann nicht aus dem Amt entlassen werden.
Der Gemeinde Seeg und ihrem zweiten Bürgermeister bleibt also nichts anderes übrig, als weiter zu warten – und zu zahlen.