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Bomben gezielt auf Krankenhäuser

Niemand
müsste an dieser Krankheit sterben. Cholera – so bedrohlich ihr Name klingt, so
einfach ist sie heute zu heilen und ihre Verbreitung zu stoppen. Es braucht
sauberes Trinkwasser, isolierte Krankenbetten für die Infizierten,
Trinklösungen aus Kochsalz, Glucose und weiteren Elektrolyten, um sie zu
rehydrieren. Eventuell Antibiotika und für schwere Fälle Infusionslösungen,
sterile Nadeln, Schläuche. Und natürlich Ärzte und Pfleger. Auch in armen
Ländern sind viele Krankenhäuser in der Lage, einen Ausbruch einzudämmen.

Es sei denn, es fallen Bomben.

Den „schlimmsten Cholera-Ausbruch seit
Jahren
“ meldet die Organisation Ärzte ohne Grenzen im Sudan. Knapp 100.000
Verdachtsfälle und bis Mitte August rund 2.500 Tote innerhalb eines Jahres. Die
meisten in der Stadt Tawila in Nord-Darfur. Dorthin sind mehr als 380.000
Menschen vor dem Krieg geflüchtet. Seit bald zweieinhalb Jahren verwüsten die
Armee und die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) das Land in einem
Kampf um Macht, Rohstoffe und Schmuggelnetzwerke, unterstützt und bewaffnet von
Staaten in der Region. Die Zahl der Toten wird auf bis zu 150.000 geschätzt. 14
Millionen Menschen sind vertrieben. Fast die Hälfte der rund 50 Millionen
Bewohner ist von akutem Hunger bedroht.

Zwei Drittel der Krankenhäuser im Sudan
haben ihre Arbeit eingestellt. Sie sind zerbombt, niedergebrannt oder so weit
beschädigt, dass niemand mehr behandelt werden kann. Medikamente und Geräte
wurden ebenso geplündert wie Vorräte an energiereichen Pasten und Keksen, mit
denen man unter­ernähr­te Kinder wieder aufpäppeln kann. Trotzdem drängen
Flüchtlinge oft in die Nähe von Spitälern oder improvisierten Kliniken, auch
weil sie dort mehr Sicherheit vor Drohnen, Kampfbombern und Artilleriefeuer zu
finden hoffen.

Aber diese Sicherheit gibt es nicht. Allein
im ersten Halbjahr 2025 sind im Sudan rund 1.000 Menschen bei Angriffen auf
Gesundheitseinrichtungen getötet worden. Verwundete, Kranke, Ärzte, Sanitäter
sind ebenso Kriegsziel wie die zivile Infrastruktur: Krankenhäuser, Schulen,
Trinkwasseranlagen. Der jüngste Cholera-Ausbruch im Sudan ist keine Tragödie,
sondern eine Folge von Kriegsverbrechen.

Der Schutz von Kranken und Verwundeten in
bewaffneten Konflikten gilt als Säule des humanitären Völkerrechts. Erstmals
festgelegt wurde er im Genfer Abkommen von 1864. Die Genfer Konventionen von
1949, ratifiziert von allen Staaten der Welt, und weitere Verträge haben diesen
Schutz auf Krankenhäuser, medizinisches Personal und andere Helfer ausgeweitet.

2025, knapp 80 Jahre später, meldet
ReliefWeb, das Informationsportal des UN-Büros für Nothilfe, eine „komplette
Erosion der Achtung für das humanitäre Völkerrecht und die Schutzverantwortung
für Gesundheitseinrichtungen“. Ob in Gaza, im Sudan, in Myanmar oder in der
Ukraine – Kriegsparteien nehmen gezielt Hospitäler ins Visier, töten Ärzte und
Sanitäter, blockieren den Nachschub mit Medikamenten, verhindern die
Evakuierung von Verletzten, erschießen Patienten in ihren Betten.

Erosionen
beginnen schleichend. Ärzte und Nothelfer sind in den vergangenen Jahrzehnten
immer wieder zwischen die Fronten geraten, wurden von Kriegsfraktionen der
Parteilichkeit für die andere Seite beschuldigt, entführt, verhaftet, manchmal
ermordet. Von der –
also dem Missbrauch der Gesundheitsversorgung als Kriegswaffe – sprach die
medizinische Fachzeitschrift zum ersten
Mal 2017 im Fall von Syrien. Das Assad-Regime hatte gleich zu Beginn der
Massenproteste im Jahr 2011 Ärzte verhaften, foltern und erschießen lassen,
weil sie verwundete Demonstranten behandelt hatten. Wenig später wurde per
Gesetz jede medizinische Hilfe für Menschen unter Strafe gestellt, die von
regimetreuen Kräften verletzt worden waren. In den folgenden Jahren stoppte
Assad Impfkampagnen sowie die Trinkwasseraufbereitung in oppositionellen
Gebieten. Krankenhäuser wurden gezielt bombardiert, oft mit sogenannten : Auf einen ersten Bombenangriff mit möglichst
vielen Opfern folgt ein zweiter, sobald Rettungssanitäter vor Ort versuchen,
Verletzte zu bergen.

Eine Taktik, die auch der russischen
Luftwaffe in der Ukraine und der israelischen Armee in Gaza vorgeworfen wird.
Am vergangenen Montag starben nach palästinensischen Angaben bei einem auf ein Krankenhaus in Khan Younis 20 Menschen,
darunter Sanitäter und Journalisten, die nach dem ersten Bombenabwurf dorthin
geeilt waren. Juristen und Hilfsorganisationen fordern, solche
Verbrechen vor internationalen Gerichten anzuklagen oder Täter mit Sanktionen
zu belegen. Das ist schwierig in einem globalen politischen Umfeld, in dem das
Völkerrecht immer weniger respektiert wird. Die betroffenen Menschen können
darauf ohnehin nicht warten. In Syrien hatte man Krankenhäuser in
oppositionellen Gebieten irgendwann unter die Erde verlegt. Im Sudan führen
inzwischen Pfleger Operationen durch, wenn keine Ärzte mehr da sind, während
die Bombardements weitergehen. Doch diese Improvisations- und Überlebenskunst
stößt immer schneller an ihre Grenzen. Nicht nur, weil Kriegsparteien das
Völkerrecht missachten. Sondern auch, weil internationale Hilfsgelder rapide
gekürzt werden. Unterdessen steigt die Zahl der Cholera-Kranken im Sudan.