Eigentlich soll das Grün ja tarnen. Und das mag draußen im Wald oder im Sumpf auch funktionieren, aber hier, im Ankunftsbereich des Flughafens von Vilnius, springt einem das Grün der deutschen Bundeswehruniform sofort ins Auge. Es wirkt wie eine Signalfarbe. Man wird es noch öfter sehen auf den Straßen dieser schönen, barocken Stadt: deutscher Soldat auf dem Gehweg beim alten Rathaus, deutscher Soldat im Auto mit dem Bundeswehrkreuz. Die Soldaten sind hier nicht zu Besuch, sie sind gekommen, um zu bleiben, um eine Kampfbrigade aufzubauen. Rund 4.800 Soldatinnen und Soldaten und noch mal 200 zivile Kräfte der Bundeswehr sollen bis Ende nächsten Jahres in Litauen stationiert sein. So viele wie nirgendwo sonst außerhalb Deutschlands.
„Der Schutz von Vilnius ist der Schutz von Berlin“, hatte Bundeskanzler Friedrich Merz im Mai beim Truppenbesuch gesagt. Ein krasser Satz. So krass, dass der Bürgermeister von Vilnius ihn an seinem Rathaus auf einer Tafel festhalten und allen zeigen will.
Sie würden hier freundlich empfangen, erzählt ein reflektierter, im Auftreten resoluter Bundeswehrsoldat, mit dem man abends in der Altstadt von Vilnius bei einem Bier ins Gespräch kommt. In der Heimat, sagt der Mann, der ausdrücklich nur als Privatmensch und ohne Namensnennung reden möchte, werde man in Uniform zuweilen komisch angeschaut, in manchen Städten sogar beschimpft. In Litauen wird das Tarngrün freudig begrüßt.
Von Vilnius aus sind es nur rund 25 Kilometer bis zur weißrussischen Grenze. Das hier ist die sogenannte Ostflanke der Nato. Erst am Donnerstag meldete die Armee, dass zwei russische Flugzeuge den litauischen Luftraum verletzt hätten. Jeder in Litauen weiß zumindest ungefähr, wo man sich für den Schutz in Bunkern treffen muss, wenn Putin angreifen sollte. Nicht wenige engagieren sich sogar in der litauischen Schützenunion, einem paramilitärischen Freiwilligenverband, dessen Mitglieder mit Maschinengewehren und hochmodernen Panzerfäusten für den Ernstfall üben.
Ein künstlerischer Austausch über drohende Kriege
Lange Wartelisten gebe es für die Waffentrainings der Freiwilligenverbände, erzählt auch Virginija Januškevičiūtė. Die junge Kuratorin am weit über die Grenzen Litauens bekannten Contemporary Art Centre (CAC) in Vilnius kann richtig wütend werden, wenn sie vom Pazifismus in Deutschland und anderswo hört. Spätestens seit dem Überfall Russlands auf die Krim 2014 rechnen sie und ihre Freunde damit, dass Putin auch Raketen und Truppen nach Litauen schicken könnte. Seit dem russischen Angriff auf Kyjiw 2022, der für sie keine Zeitenwende, sondern Kontinuität bedeutet, helfen sie und andere ihren Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine mit allem, was sie besorgen können, Hilfsmittel, Medikamente, Fahrzeuge. Und vor allem geben sie den Ukrainern die Möglichkeit, ihre Kunst auszustellen.
In Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und der Akademie der Künste in Berlin haben Januškevičiūtė und der CAC-Direktor Valentinas Klimašauskas vergangene Woche eine erschreckend aktuelle Ausstellung in ihrer mitten in der Altstadt gelegenen Kunsthalle eröffnet. lautet ihr Titel, es geht um Kunst im Zeichen der Militarisierung. International erfolgreiche Künstlerinnen wie Hito Steyerl und Henrike Naumann aus Berlin, Nikita Kadan aus Kyjiw und Trevor Paglen aus New York zeigen hier ihre Werke an der Seite von jungen Kolleginnen aus den baltischen Staaten und dem benachbarten Polen. Die Eröffnung der Ausstellung geriet zu einem großen Austausch über polymorphe Krisen und drohende Kriege.
Aber was kann die Kunst selbst von der Militarisierung erzählen? Einen großen Raum füllt Hito Steyerl mit ihrer Installation aus Röhren, Bildschirmen, Texttafeln, unter dem Titel hat sie zusammen mit dem ukrainischen Filmemacher Oleksiy Radynski und dem Kulturforscher Philipp Goll eine historische Spurensuche unternommen: Es wird die lange Vorgeschichte der Nord-Stream-Pipelines erzählt, denn schon in den 1970er-Jahren wurde sowjetisches Gas aus Sibirien nach Westdeutschland transportiert. Teil dieser Installation ist Radynskis Film, der mit wieder aufgetauchtem Filmmaterial aus den 1980er-Jahren den sowjetischen Kolonialismus in Sibirien veranschaulicht, die Vertreibung indigener Gruppen von ihrem Land, durch das ungestört das Gas fließen sollte.
Auf fünf großen Screens gibt es dazu die von Steyerl mit subtilem Humor ausgewählten und gegeneinandergeschnittenen Unterwasserbilder von Nord Stream und Szenen jener „Kulturpipeline“, die Geschäfte zwischen Deutschland und Russland gut schmieren sollte: Kulturprogramme und Ausstellungen, die etwa von der Deutschen Bank mitfinanziert wurden. Irgendwann taucht selbstverständlich auch der von sich selbst besoffene Gerhard Schröder auf den großen Screens auf – und lässt jene Zeiten aufscheinen, in denen Rheinmetall noch Waffengeschäfte im großen Stil mit Russland anbahnte.
