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Wer blufft am besten?

Ob Donald Trump bei seinem Telefonat mit Wladimir Putin wohl
herausgefunden hat, warum dieser einfach nicht aufhören will zu kämpfen? Darüber hatte
sich der US-Präsident ja Anfang der Woche noch öffentlich gewundert – und manch
einer hatte aus dieser und ähnlichen Äußerungen herausgelesen, dass Trump jetzt
tatsächlich die Geduld mit Russlands Machthaber verlieren könnte.

Mehr als zwei Stunden sprachen die beiden am Donnerstag miteinander. Das direkte Resultat: ein
weiterer Gipfel, dieses Mal nicht in Alaska, also auf US-amerikanischem Gebiet, sondern
in der EU – genauer gesagt im ungarischen Budapest. Das indirekte Resultat: Die Ukrainer
können ihre zuletzt aufkeimenden Hoffnungen, dass Trump tatsächlich die Geduld
mit Putin verliert, vermutlich erst einmal begraben. Denn nach diesem Telefonat ist
kaum damit zu rechnen, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj Washington am Freitag mit einer
Zusage für die Lieferung von Tomahawk-Marschflugkörpern verlässt. Die Ukrainer erhoffen sich von diesen weitreichenden
Waffen, mit denen sie strategisch wichtige Ziele tief in russischem Territorium
angreifen könnten, eine entscheidende Änderung des Kriegsverlaufs zu ihren Gunsten.

Eine solche Wirkung bestreitet die russische Seite zwar.
Putin-Berater Juri Uschakow sagte nach dem Telefonat aber, der russische
Präsident habe Trump darüber informiert, dass die Lieferung von Tomahawks die Beziehungen zwischen Russland und den
USA sowie den Friedensprozess im Ukrainekrieg schwer beschädigen würden.
Man hoffe daher, sagte Uschakow, dass Trump dies bei seinem Gespräch mit Selenskyj
am Freitag berücksichtigen werde.

Putin kann trotz internationalen Haftbefehls nach Ungarn einreisen

Wie in Washington zu hören ist, wurden die Ukrainer von der
Gipfelankündigung kalt erwischt. Das zeigt einmal mehr, wie wenig die US-Regierung die Regierung in Kyjiw als ebenbürtigen Verhandlungspartner anerkennt. Auch
die Europäer dürften sich brüskiert fühlen, dass ausgerechnet das widerspenstigste
EU-Mitglied als Schauplatz für das bilaterale Treffen auserkoren wurde – und alle anderen mal wieder nicht eingebunden sind.

Ungarn hatte im Mai beschlossen, den Internationalen
Strafgerichtshof künftig nicht mehr anzuerkennen. Wirksam wird der Austritt
zwar erst ab Mitte 2026. Aber Ministerpräsident Viktor Orbán hat klargemacht,
dass der mit internationalem Haftbefehl gesuchte russische Präsident so in die
Europäische Union einreisen kann. Wie Orbán demonstriert auch Trump damit
erneut, wie wenig er von multilateralen Formaten und Strukturen hält.

„Wir haben viele Tomahawks“

Bislang wurde erwartet, dass Selenskyj Trump am Freitag dazu
drängen würde, die Lieferung der Tomahawks freizugeben. Grund zur Hoffnung schienen Meldungen
zu machen, nach denen die USA die ukrainische Armee durch Geheimdienstinformationen
schon deutlich stärker unterstützen, als offiziell bekannt ist. Und noch vor wenigen
Tagen sagte ein gut gelaunter Trump nach seiner Rückkehr aus Nahost: „Er (Selenskyj)
möchte Tomahawks haben. Wir haben viele Tomahawks.“ Auf Nachfrage von Reportern führte er dann allerdings aus, die USA benötigten diese auch selbst. „Wir können unsere
eigenen Vorräte nicht erschöpfen. Sie sind sehr wichtig, sehr präzise und
sehr gut. Ich weiß also nicht, was wir da machen können“, sagte Trump uneindeutig.

War das alles also nur ein großer Bluff von Trump, um Putin in
Richtung Verhandlungstisch zu manövrieren? Vielleicht. Russland will schließlich verhindern, dass die Trump-Regierung sich klar auf die Seite der Ukraine schlägt. Möglich ist aber auch,
dass der russische Präsident mal wieder demonstriert hat, was er am besten
kann: Trump so zu manipulieren, dass er von einer härteren Gangart absieht. Nur
zu durchschaubar waren vor wenigen Tagen Putins Glückwünsche zu Trumps Rolle in
Nahost plus die Erklärung, eigentlich hätte der US-Präsident den Friedensnobelpreis
bekommen müssen. Natürlich teilte Trump diese Einlassung.

Auch vor Alaska wurde geblufft

Ähnliches ließ sich vor ein paar Monaten bei der Debatte über schärfere
Sanktionen gegen Russland beobachten. Der US-Kongress drängte darauf, und Trump zeigte
sich zunächst offen für ein entsprechendes Gesetz. Daraufhin kam es zum Gipfel in Alaska
– der wiederum zu keinem greifbaren Ergebnis führte, außer jenem, dass sich
Trump als zentraler Akteur fühlen konnte. Russland konnte derweil seinen
brutalen Angriffskrieg ungebremst weiterführen. Die angedrohten Sanktionen
lassen weiter auf sich warten.

Wenig überraschend ging das Telefonat am Donnerstag nach
Angaben der russischen Regierung auf Putins Initiative zurück. Wie Trump später ergänzte,
soll das Treffen bereits in den nächsten beiden Wochen stattfinden. Die Ukraine muss
sich darauf einstellen, dass Russland seine Angriffe bald wieder hochfahren wird – genauso, wie es nach Alaska der Fall war. Donald Trumps Frage, warum sein „enger
Freund“ Putin den „unrühmlichen Krieg“ auch im vierten Jahr nicht beenden will,
wäre eigentlich einfach zu beantworten: Weil ihn immer noch keiner ernsthaft dazu
zwingt.