Russland hat die EU davor gewarnt, gesperrtes russisches Staatsvermögen für Ukrainehilfen einzusetzen. „Wir sprechen hier über Pläne zur illegalen Beschlagnahmung von russischem Eigentum“, sagte der russische Präsidentensprecher Dmitri Peskow. „Auf Russisch nennen wir das einfach ‚Diebstahl‘.“
Peskow kündigte an, jede beteiligte Person und jedes Land, das sich an den Plänen beteilige, juristisch zur Rechenschaft zu ziehen. Dabei präzisierte er nicht, vor welchen Gerichten die rechtliche Auseinandersetzung ausgetragen werden soll. Weiterhin warnte Wladimir Putins Sprecher vor Folgen eines solchen Schritts für den europäischen Finanzmarkt, der weniger Investitionen anziehen werde.
Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine sind etwa 255 Milliarden Euro an russischen staatlichen Vermögenswerten weltweit eingefroren. 210 Milliarden Euro davon liegen derzeit beim Finanzdienstleister Euroclear in Brüssel. Davon will die EU nun laut Plänen der Kommission 140 Milliarden Euro für die Ukraine einsetzen, ohne sie tatsächlich zu beschlagnahmen.
EU will rechtliche Bedenken gegen Einsatz russischen Geldes umgehen
Ukrainehilfen werden seit etwa einem Jahr unter anderem aus den Zinsen auf das eingefrorene Vermögen finanziert. Allerdings deckt das die Kosten nur minimal und brachte bislang weniger als fünf Milliarden Euro ein. Ein Kredit in Höhe von 50 Milliarden Euro soll ebenfalls über Jahre mit weiteren Zinsen bezahlt werden. Das Vermögen selbst will die EU jedoch nicht beschlagnahmen, da sich mehrere Mitgliedsländer nicht sicher sind, ob das rechtlich zulässig ist.
Mit dem neuen Vorschlag für die geplante Entnahme von 140 Milliarden Euro will die EU die bisherigen Bedenken umgehen. Eine solche Summe soll in zinslose Anleihen umgewandelt werden, mit denen die Übergabe von 140 Milliarden Euro an die Ukraine gedeckt sein soll. Die Ukraine soll die Summe den Plänen nach erst zurückzahlen, sobald Russland Reparationszahlungen für die Zerstörungen des Krieges leistet. Daran wäre auch eine Rückgabe des gesperrten russischen Staatsvermögens an Russland in voller Höhe gekoppelt. Indirekt würde die EU damit faktisch Russland zwingen, der Ukraine das Geld zu leihen.
Unsicherheiten belasten EU-Finanzierungsplan
Die EU-Kommission beteuert, dass damit die juristischen Unsicherheiten einer tatsächlichen Beschlagnahmung des russischen Vermögens umgangen werden könnten. Dennoch belasten mehrere Unsicherheiten den Plan. So ist unklar, ob das Konstrukt potenzielle Investoren davon überzeugen kann, weiterhin in den europäischen Finanzmarkt zu vertrauen. Mögliches Misstrauen internationaler Akteure dagegen, große Summen in Europa zu lagern, gehört neben juristischen Fragen zu den Gründen, aus denen die EU das Vermögen nicht auf klassische Weise beschlagnahmen will. Auf diese Unsicherheiten dürfte sich auch Putins Sprecher Peskow bezogen haben.
Auch die Haftung für die Summe könnte riskant sein. Denn der Plan der EU fußt auf der Erwartung, dass Russland nach Kriegsende Reparationen an die Ukraine zahlt. Dass das passieren wird, kann aber nicht garantiert werden und dürfte maßgeblich vom Ausgang des Krieges abhängen. Doch falls die Ukraine keine Reparationen erhält, wären die EU-Mitglieder haftbar. Allerdings gilt Letzteres nur dann, falls die EU das gesperrte russische Vermögen freigeben sollte, ohne dass Russland Reparationen gezahlt hat. Denkbar ist daher, dass diese in Zukunft mit der gesperrten Summe verrechnet werden könnten.
Mehrere EU-Länder zweifeln an Finanzierungsplan
Innerhalb der EU ist das Vorgehen derzeit umstritten und war am Dienstagnachmittag das dominierende Thema auf dem informellen Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Kopenhagen. Während sich dort die Regierungschefs Schwedens, Finnlands, Estlands und der Niederlande hinter das Vorhaben stellten, äußerte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zunächst zurückhaltend. So verwies er auf Warnungen Belgiens, dessen Regierung bislang zu den größten Gegnern einer Beschlagnahmung gehörte und auch den neuen Plan kritisch sieht. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte vorab seine Unterstützung für das Vorhaben bekannt gegeben. Eine Entscheidung könnte auf dem regulären EU-Gipfel Ende Oktober fallen.
Grund dafür, dass die EU das Vorhaben vorgestellt hat, sind vor allem die angespannte Haushaltslage in vielen Mitgliedsländern sowie in der Ukraine. Die ukrainische Regierung verwendet nahezu alle Steuereinnahmen darauf, die Verteidigung gegen Russland zu finanzieren. Für die Finanzierung anderer Staatsaufgaben greift sie auf Finanzhilfen der EU und Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) zurück. Dieser hatte dem Land zuletzt einen um fast 20 Milliarden Euro höheren Bedarf für die kommenden Jahre bescheinigt, als davor veranschlagt war.