Nach dem Wahl-Beben in Thüringen muss das Erfurter Parlament spätestens am 1. Oktober zusammenkommen. Bereits in der ersten Sitzung droht der Einsturz von selbst gesetzten Brandmauern – oder eine Verfassungskrise. Grund ist der politische Sprengstoff bei der Wahl des Landtagspräsidenten.
Klar ist laut Geschäftsordnung des Landtags nur, dass die AfD im ersten und zweiten Wahlgang als stärkste Kraft ein exklusives Vorschlagsrecht genießt.
Sie hat mit 32 von 88 Sitzen aber keine Mehrheit. Ihr Kandidat ist also auf Ja-Stimmen aus den Reihen von CDU, BSW, Linke und SPD angewiesen. Weil alle einen AfD-Bewerber ablehnen wollen, dürfte dieser durchfallen.
Die Folge wäre ein dritter Wahlgang – der noch nie nötig war und juristisch komplettes Neuland ist. Nach Auffassung des Ältestenrats dürfen hier auch andere Parteien Bewerber ins Rennen schicken. Erhält keiner mehr Stimmen als alle anderen zusammen, soll es in Runde vier zu einer Stichwahl der beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen kommen.
Welche Rolle das Los und ein AfD-Rentner spielen könnten
Der mögliche Gipfel der Dramaturgie: Haben mehrere Kandidaten die zweitmeisten Stimmen, müsste sogar ein Los darüber entscheiden, wer ins Wahl-Finale einzieht.
Eine Schlüsselrolle in diesem Wahl-Krimi übernimmt ausgerechnet ein AfD-Abgeordneter. Rentner Jürgen Treutler (73) steht wegen des höchsten Alters als Alterspräsident fest und darf die bedeutende Wahl leiten, obwohl er als Parlaments-Neuling noch nie an einer Sitzung teilgenommen hat. Kommt es zum Streit über die Auslegung der ungeklärten Regeln, hätte er das letzte Wort. Treutler könnte zum Beispiel das Vorschlagsrecht in Dauerschleife nur der AfD gewähren.
AfD könnte gegen Brandmauer klagen
Der Machtkampf könnte sogar vor dem Verfassungsgerichtshof landen. Eine BILD-Anfrage, ob die AfD gegen den von der Konkurrenz angekündigten Bruch der parlamentarischen Tradition klagen würde, lässt die Höcke-Fraktion unbeantwortet. Gegenüber der „FAZ“ heißt es aus der AfD: „Sollte es zu einer Diskussion kommen, werden wir alles uns Mögliche tun, um unsere Rechte durchzusetzen.“
Ohnehin stehen CDU, BSW, SPD und Linke vor einem Dilemma. Denn wenn sie sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen, kann die AfD ihren Bewerber im dritten Wahlgang ohne fremde Hilfe ins Amt heben. Deutschlands erster AfD-Landtagspräsident wäre dann wegen der Sperrminorität nicht mehr abwählbar. Denn dazu bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die es ohne AfD nicht mehr gibt.
Scheitert die Wahl, wäre der Landtag lahmgelegt, eine Ministerpräsidentenwahl unmöglich. Und Thüringen ohne Regierung.
