Die Türkei steht – wieder einmal – vor Massenprotesten gegen Staatsführer Recep Tayyip Erdogan (71).
► Auslöser: die Verhaftung seines mächtigsten Rivalen, Ekrem Imamoglu (53), Oberbürgermeister von Istanbul und Dutzender weiterer Mitarbeiter seiner Verwaltung. Der populäre Politiker der oppositionellen CHP wurde am Mittwoch verhaftet, seine Wohnung durchsucht. Vorwurf: Korruption und Kontakte zur Kurdischen Arbeiterpartei PKK, die vom türkischen Staat als Terrororganisation eingestuft wird.
Kritiker – und auch die CHP-Führung – halten die Vorwürfe von Regierung und Justiz für frei erfunden. Imamoglu und die gesamte Opposition sollten durch Razzia und Verhaftung entmachtet und diskreditiert werden.
► Hintergrund: Am kommenden Sonntag soll der CHP-Politiker zum Präsidentschaftskandidaten seiner Partei gegen Erdogan nominiert werden. Ein erster Schritt zur möglichen Entmachtung des despotischen Dauer-Staatsführers Erdogan, der die Türkei seit 2003 zunächst als Ministerpräsident, seit 2014 als Präsident anführt und seine Macht mit immer neuen Verfassungsänderungen ausbaute und erweitern will.
Doch Imamoglu wehrt sich!
Auf Twitter rief Imamoglu zum Widerstand auf: „Der Wille der Bevölkerung kann nicht durch Einschüchterung und illegale Handlungen zum Schweigen gebracht werden.“ Der Tyrann Erdogan und seine Unterstützer würden „eines Tages vor der Justiz zur Verantwortung gezogen werden“. Er kämpfe „weiterhin für Recht und Freiheit“. CHP-Chef Özgür Özel kündigte an, Imamoglu werde trotz der Inhaftierung am Sonntag zum Kandidaten gewählt.
Erdogans Regierung nimmt die Drohung offenbar ernst: Um möglichen Protesten vorzubeugen, wurde der Zugang zu sozialen Netzwerken wie X und YouTube blockiert. In Istanbul wurden zwei U-Bahn-Linien gesperrt, darunter auch die Station auf dem Taksim-Platz, der traditionell für regierungskritische Demonstrationen genutzt wird.
Darüber hinaus gab es Straßensperren, Demonstrationsverbote. Dennoch versammelten sich Hunderte Demonstranten vor öffentlichen Gebäuden und der Stadtverwaltung.
Imamoglus Festnahme reiht sich ein in eine Verhaftungswelle in der Türkei, bei der seit Wochen Dutzende Oppositionelle, Journalisten, Künstler festgenommen und mit angeblichen Strafvorwürfen konfrontiert wurden. Häufigster Vorwurf: Zusammenarbeit mit der Kurden-Partei PKK.
Bereits am Dienstag hatte sich angebahnt, dass Imamoglu entmachtet werden sollte: Die Universität Istanbul erkannte dem einstigen BWL-Studenten wegen angeblicher Unstimmigkeiten das Diplom ab. Der Uni-Abschluss ist Bedingung für das Amt als Staatspräsident (nicht aber für einen Oberbürgermeister).
Imamoglu kennt Erdogans ruchlose Strategie seit vielen Jahren. Erdogans AKP bezichtigte ihn schon 2019 bei seiner erfolgreichen Wahl zum OB in Istanbul des Wahlbetrugs (bei der Nachwahl erhielt Imamoglu 800.000 Stimmen zusätzlich). Vor der Präsidentschaftswahl 2023 verbreitete Erdogans AKP gefälschte Videos, die der CHP-Opposition Zusammenarbeit mit Terroristen der PKK nachweisen sollten.
Türkei-Experte vergleicht Erdogan mit Putin
Die Bundesregierung wertete das Vorgehen gegen Imamoglu und seine Mitstreiter am Mittwoch als „Rückschlag für die Demokratie“ in der Türkei. SPD-Chef Lars Klingbeil (47) erklärte: „Sie müssen sofort freigelassen werden. Politische Willkür darf nicht die Zukunft der Türkei bestimmen.“
Für die ohnehin angeschlagene türkische Wirtschaft verheißt das Vorgehen der Justiz ebenfalls nichts Gutes: Nach Imamoglus Festnahme wurde der Handel an der Börse in Istanbul zeitweise ausgesetzt. Der Leitindex war um fast sieben Prozent abgestürzt. Der Wert der türkischen Lira fiel zwischenzeitlich mit 44,7 Lira pro Euro auf den schwächsten Kurs aller Zeiten.
Türkei-Experte Eren Güvercin (44) zu BILD: „Erdogan und Putin sind Brüder im Geiste. Die Repressionen gegen Oppositionelle und Journalisten haben in letzter Zeit massiv zugenommen.“
Für ihn steht fest: „Erdogan bekämpft die demokratische Opposition härter denn je.“