Die renommierte französische Zeitung „Le Monde“ spricht heute von einem „historischen Tag der Wut“ in Serbien. „Die Demonstration am Samstag erinnerte an jene in den 1990er Jahren, die im Jahr 2000 zum Sturz des ehemaligen Diktators Slobodan Milošević führten.“

Denn die Wut kocht in Serbien! Am Samstag gingen bis zu 325.000 Menschen auf die Straße, um gegen Korruption und die Regierung von Präsident Aleksandar Vucic (55) zu protestieren.

„Das ist magisch“

„Wir sind vor allem auf den Straßen, um unsere vollständige Unzufriedenheit nach Jahren der Diktatur, Gesetzlosigkeit und Korruption zum Ausdruck zu bringen“, so der 28-jährige Belgrader Ognjen Djordjevic, der sich an den Protesten beteiligte. Die ebenfalls demonstrierende 70-jährige Moma Milanovic sagte: „Das ist magisch. Das ist Serbien, das wahre Serbien, das wir wollen.“

Auslöser der Proteste war der verheerende Einsturz eines Bahnhofsvordachs in Novi Sad mit 15 Toten am 1. November vergangenen Jahres. Seitdem brodelt es in dem Balkan-Staat. Kritiker werfen Vučić vor, seine Macht auf korrupte Netzwerke, eingeschränkte Medienfreiheit und manipulierte Wahlen zu stützen. Die Kontrolle über die Justiz ermögliche es ihm, Zustände aufrechtzuerhalten, die im Widerspruch zur Rechtsstaatlichkeit stehen.

Regierungsanhänger provozieren Eskalation

Schon Stunden vor Beginn der Kundgebung füllten sich die Straßen entlang der zwei Kilometer langen Demonstrationsroute. Studenten, Bauern und Bürger zogen gemeinsam Richtung Zentrum der serbischen Hauptstadt Belgrad.

Auf dem zentralen Slavija-Platz skandierte die Menge: „Pumpaj! Pumpaj!“ (Deutsch: „Pumpe! Pumpe!“), ein Ausdruck dafür, dass die Protestbewegung nicht nachlässt. Viele trugen Anstecker mit blutigen Händen – ein Symbol für ihre Anklage: „Korruption tötet!“

Will Vucic den Ausnahmezustand?

Doch nicht alle kamen friedlich. Auch Regierungsanhänger waren mobilisiert worden – darunter Ultranationalisten, mutmaßliche Hooligans und Mitglieder militanter Gruppen. Sie errichteten Barrikaden nahe des Parlaments, bauten Zelte vor dem Präsidentenpalast auf.

Am Abend kam es zu Auseinandersetzungen: Flaschen und Steine flogen. Eine Studentengruppe forderte daraufhin ihre Anhänger auf, sich zurückzuziehen.

Zeitgleich fuhr in einem südlichen Vorort von Belgrad ein Autofahrer absichtlich in eine Menge von Demonstranten. Drei junge Leute erlitten Verletzungen, wie die Polizei mitteilte.

Der serbische Sicherheitsexperte Srdjan Cvijic warnt: „Die Regierung könnte bewusst Gewalt provozieren, um einen Vorwand für den Ausnahmezustand zu haben.“ In den Staatsmedien wurde bereits von einem „Putschversuch“ der Studenten gesprochen.

Präsident Vucic selbst erklärte am Abend auf einer Pressekonferenz: „Alle in der Regierung müssen die Botschaft verstehen, wenn so viele Menschen zusammenkommen. Wir werden uns selbst ändern müssen“. Zugleich betonte er aber, dass 99 Prozent der Demonstranten friedlich gewesen seien.

Laut dem serbischen Innenministerium wurden insgesamt sechs Menschen festgenommen – sie sollen angeblich „Aktionen gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ geplant haben.

Wie die „New York Times“ berichtet, soll sich erst am Dienstag Donald Trump Jr., der Sohn des US-Präsidenten, im Rahmen eines inoffiziellen Besuchs in Belgrad mit Präsident Vucic getroffen haben. Durch die Auflösung der amerikanischen Hilfsorganisation U.S.A.I.D dürfte sich der serbische Präsident weiter ermutigt fühlen. Die Organisation finanzierte u.a. Gruppen, die Wahlbetrug und andere Missstände in Serbien dokumentiert hatten, so die „New York Times“ weiter.

Seit Wochen gibt es bereits Gerüchte um eine Flucht von Präsident Vucic ins nahe Ausland. Für den Notfall habe er bereits sondiert, wo er ins Exil gehen können. Bekannt sind seine guten Beziehungen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan (71). Eine Flucht ins benachbarte Ungarn oder einen anderen EU-Staat ist indes unwahrscheinlich, da dort aller Voraussicht nach sein Vermögen konfisziert werden würde.