Es war ein überraschender Vorstoß direkt von der Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul: Der Kurdenführer und PKK-Gründer Abdullah Öcalan fordert dazu auf, die PKK zu entwaffnen und aufzulösen!
Nach einem Treffen mit Vertretern der pro-kurdischen DEM-Partei teilte er wörtlich mit: „Die PKK sollte sich selbst auflösen, ich fordere sie auf, die Waffen niederzulegen.“
Die PKK wurde 1978 von Öcalan im Südosten der Türkei mit marxistisch-leninistischer Ausrichtung gegründet. Sie wird von der Türkei und ihren westlichen Verbündeten, auch von Deutschland, als Terrororganisation eingestuft.
Was bedeutet Öcalans Aufruf – für die Terrororganisation, für den türkischen Präsidenten Erdogan und für die PKK-Anhänger? BILD hat bei dem Türkei-Experten Eren Güvercin (44) nachgefragt.
„PKK hat nicht mehr Kraft wie in den 1990ern“
Güvercin: „Seit Monaten gab es Hinweise, dass es zwischen der türkischen Regierung, der kurdischen DEM-Partei und Öcalan Bewegung gibt. Die politischen Parteien der Kurden wurden in den letzten Jahren immer wieder verboten und zahlreiche Politiker verhaftet. Auch die PKK wurde in den letzten Jahren von der türkischen Armee wirksamer bekämpft, sodass sie nicht mehr die Kraft hat, wie vielleicht in den 1990er-Jahren.“
Und weiter: „Ich denke, dass Öcalan durch diesen Schritt versucht, die Bewegung, die er gegründet und seit Jahrzehnten maßgeblich geprägt hat, noch mal in neue Bahnen zu lenken.“
Gibt’s jetzt Frieden zwischen Türkei und Kurden?
Güvercin: „Die bewaffneten Aktivitäten der PKK sind in den letzten Jahren sehr stark zurückgegangen. Es gab zwar hin und wieder Anschläge, aber das waren Anschläge von Splittergruppen. Die türkische Armee hat aber immer wieder Militäroperationen im Nord-Irak durchgeführt, immer wieder Stellungen der PKK in Nord-Irak und der (verbündeten) YPG in Nordsyrien bombardiert.“
Heißt: „Wenn dieser Friedensprozess eine Chance haben soll, dann muss sich auch die türkische Armee zurückhalten. Und vor allem muss die politische Verfolgung von Politikern der kurdischen DEM-Partei aufhören.“
Werden die PKK-Anhänger auf Öcalan hören?
Güvercin weiter: „Die große Frage ist, ob die PKK dem Aufruf Öcalans folgen wird.“ Öcalan sei zwar der Führer der PKK, „aber er ist seit über 25 Jahren im Gefängnis. Ob wirklich alle Fraktionen in der PKK seinem Aufruf folgen, ihre Waffen niederlegen und sich auflösen, ist sehr ungewiss. Ob Öcalan noch die Strahlkraft auf die PKK hat, wird man noch sehen.“
Was hat Erdogan von dem plötzlichen Aufruf Öcalans?
Im Oktober brachte der türkische Nationalist Devlet Bahceli, ein wichtiger Verbündeter von Präsident Recep Tayyip Erdogan, überraschend Öcalans mögliche Freilassung ins Gespräch – unter der Bedingung, dass er die PKK zur Aufgabe bewege.
Fakt ist: Erdogan benötigt die Kurden, um weiter Präsident zu bleiben.
▶︎ Der türkische Präsident brauche „die Stimmen der kurdischen DEM-Partei, um die Verfassung zu ändern, damit er weiter für Präsidentschaftswahlen kandidieren darf. Das ist eins seiner Motive. Aber Erdogan will auch im Nahen Osten mehr Einfluss haben, gerade nach dem Sturz von Assad in Syrien“, so Güvercin.
Deshalb wolle Erdogan „in der Kurdenfrage Fortschritte erzielen, um mehr Bewegungsspielraum zu haben. Ich bin aber skeptisch, ob dieser Friedensprozess erfolgreicher sein wird als die vorherigen Versuche.“